Freitag, 15. April 2016

SO. // Artikel



Dieser Text ist ein Artikel und es soll um Scientology gehen.

Ich suchte eine Sekte und fand einen Becher Mineralwasser
Mein Ausflug zur Scientology-Zweigstelle an der Ecke
(ein Versuch eines Artikels)

Dieser kleine, unscheinbare Mann mit den wachen, stahlblauen Augen steht jeden Tag an der Ecke auf dem Platz vor meinem Haus. Wenn man mit ihm in Blickkontakt gerät, beabsichtigt oder nicht, nutzt er die Gelegenheit, einen anzusprechen. Der Mann ist Scientologe. Das weiss man. Jeder, der hier vorbeigeht, kennt ihn. In der Regel wird er gemieden wie der einarmige Junkie oder der überambitionierte Typ mit Klemmbrett und Pandalogo am Shirt. Er steht jeden Tag dort, auch sonntags, diese zwei Mal zwei Quadratmeter Pflasterstein sind sein Revier. Und seine Mission ist es, Menschen auf den richtigen Pfad zu lotsen. So zumindest habe ich das verstanden, wenn ich im Vorbeipreschen Fragmente der Sätze aufschnappen konnte, mit denen er Leute angeredet hat. Schon lange bin ich neugierig auf diese Institution, die sich Scientology nennt, von der irgendwie keiner so richtig sagen kann, was da intern wirklich abgeht. Hie und da hat man mal eine wilde Geschichte gehört oder Dinge, die einen amüsiert den Kopf schütteln lassen, aber im Endeffekt weiss man doch zu wenig, als dass man ein fundiertes Statement abgeben und sich entspannt zurücklehnen könnte. In unsern Breitengraden, so scheint mir, fühlt man sich grösstenteils zu aufgeklärt für Spiritualität, und somit sind auch Sekten uninteressanter und ermüdender geworden denn je.


Ich aber möchte mehr wissen. Mich fasziniert der Gedanke, herauszufinden, was Menschen dazu veranlasst, einem Leitbild zu folgen, das anderen Menschen vollkommen skurril erscheint. Ich möchte wissen, ob man emotional wirklich komplett verwahrlost sein muss, um sich da aufgehoben zu fühlen, oder ob es reicht, neugierig zu sein. Eines Nachmittages fasse ich mir ein Herz. Ich habe nichts Besseres zu tun und also grosse Erwartungen. Ich erhoffe mir einen einmaligen Einblick in eine krasse Sekte, in der man nach erfolgreichem Beitritt gehörig gebrainwashed wird. Ich erwarte mafiöse Strukturen, in denen man mindestens Morddrohungen erhält, wenn man den Austritt ankündigt. Und natürlich einen Knebelvertrag, der einem das Bankkonto schneller leert, als man recherchieren kann, was genau Dianetik denn nun eigentlich bedeuten soll. Nichts davon scheint zuzutreffen. Die erste Ernüchterung erfolgt kurz nachdem ich mich mutwillig ins Visier des Blauäugigen begeben habe: als ich frage, ob das hier jetzt also die berühmte Scientology-Sekte sei, schüttelt er mitleidig den Kopf. „Wir sind eine Religion“, erklärt er, und sein Blick verrät, dass er sich durchaus zutraut, mich zu missionieren. Er führt mich zu dem kleinen Tisch, auf dem Bücher, die an Fantasyromane erinnern, DVD’s und stapelweise Broschüren stehen. Er fragt mich, ob ich Drogen nehme. Ich schüttele entschuldigend den Kopf und erkläre: „Leider nicht genug Geld dazu.“ Der Mann drückt mir besorgt drei Broschüren in die Hand, Themen: Alkohol, Marihuana und Drogen im Allgemeinen. Eigentlich müsste ich für Menschen mit einer Mission ein gefundenes Fressen sein: jung, desorientiert und begeisterungsfähig. 


Und tatsächlich scheint es jetzt allmählich aufregend zu werden: er möchte wissen, ob ich schon mal von ihrem Persönlichkeitstest gehört habe. Ich bejahe und erkundige mich hoffnungsvoll, ob das dieser absurd lange Fragebogen sei, der einen in einen Zustand geistiger Verwirrung versetze. Er widerspricht: „Ein sehr sorgfältig erarbeiteter Persönlichkeitstest, der helfen kann, das eigene Leid aufzuspüren und zu vernichten.“ Hört sich spannend an. Mit den drei Broschüren unterm Arm willige ich ein, den Fragebogen direkt an Ort und Stelle, beziehungsweide im Scientology-Gebäude hinter ihm, auszufüllen. Ich bin nervös wie vor einem ersten Date und folge dem mysteriösen Typen hinein in den unscheinbaren grauen Kasten. Der Raum, in den ich geleitet werde, ist nicht einer Inquisitionskammer nachempfunden, sondern eher einem unspektakulären Bürozimmer. Klägliche Topfpflanzen, staubige Regale, Wasserspender, Plastiktisch. Er bittet mich, Platz zu nehmen. Eine Frau, die scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht ist, bietet mir Wasser an. Einen Moment lang ziehe ich in Erwägung, man könnte mir bewusstseinsverändernde Substanzen verabreichen wollen, um mich gefügig zu machen. Man lächelt mich gutmütig an und ich lasse mir tapfer den Becher reichen. Wie sich herausstellt, war auch diese Befürchtung völlig umsonst: ich erhalte erstaunlich prickelndes und perfekt temperiertes Mineralwasser - das erste und letzte echte Highlight dieser Begegnung.
Dann geht’s los: vor mich wird der Test gelegt, ein langer Bogen pinkfarbenes Papier. Beim kurzen Überfliegen sehe ich, dass alle Fragen gleich aufgebaut sind: man muss ankreuzen, wie sehr eine Aussage auf einen zutrifft oder nicht. Singen oder pfeifen Sie oft einfach so zum Spaß? Zur Auswahl gibt‘s jeweils eine Skala von 1-3. Der Mann lungert hinter mir herum, als hätte er Angst, ich könne mich aus dem Staub machen und den Wasserspender klauen oder so. Die Frau ist verschwunden. Ich beginne brav auszufüllen. Nach der ersten Kolonne ist mir sterbenslangweilig. Ich komme mir vor wie in der Schule, nur dass es für diese Klausur keine Aussicht auf eine gute Note gibt, sondern lediglich auf einen undefinierten Zugang zu Persönlichkeitsentfaltung. Wobei ich auch an Letzterem stark zweifle, zumal ich teilweise echt nicht weiss, wie ich diese Fragen beantworten soll, Sprechen Sie langsam? etwa, ich meine: keine Ahnung. Ich frage, ob ich die Toilette benutzen darf. Darf ich. 
Auch hier nichts Besonderes zu entdecken. Ein ganz normales Klo mit keinerlei Hinweisen, die einem weiterhelfen bei der Frage, wie man Scientology schubladisieren soll. Nichts spricht dafür, dass es sich um eine gewiefte Sekte handelt. Genauso wenig spricht dagegen. 



Keine Überwachungskamera, keine Autogrammkarten von Tom Cruise und auch kein gerahmtes Bild vom Scientology-Gründer und gescheiterten Science-Fiction-Autoren Ron Hubbard an der Wand. Als ich wieder nach draussen gehe und mich zurück an meinen Platz setzen will, teilt mir der Angestellte mit den geläuterten Eiswasseraugen mit, dass ich den Test auch zuhause fertig ausfüllen und dann vorbeibringen könne. Es hört sich nicht wie ein Angebot an, sondern wie ein Befehl. Des Weiteren möchte er wissen, worunter ich am meisten leide auf der Welt – Männer? Drogen? – und ich antworte, relativ unkreativ, am Elend der Welt, woraufhin er mir ein Heft verkaufen möchte, das mir beibringt, wie ich die Welt verändern kann. Ich lehne dankend ab und verlasse irritiert das Gebäude.
Ich verstehe nicht ganz, was passiert ist, und überlege mir auf der Strasse, ob mir vielleicht doch Gift ins Wasser getan wurde. Probehalber versuche ich, mich ins Gebüsch zu übergeben. Nichts passiert. Zwei Stunden später schaue ich mir eine Dokumentation über einen englischen Reporter an, der eine Reportage über Scientology zu drehen versucht. Als ihm das kaum gelingt, weil er immer wieder von einem hartnäckigen Scientologymitglied verfolgt wird, erleidet er einen filmreifen Wutanfall. Wütend bin ich nicht. Eigentlich noch nicht einmal genervt. Ich fühle im Grunde genommen gar nichts, und frage mich, ob das Teil des Brainwashs sein könnte oder schlichte Wirklic
hkeit ist. Dann aber denke ich: vielleicht ist das ja genau die Strategie. Vielleicht stellt das ihre ausgeklügelte Köder-Taktik dar; dieses Herbeiführen solcher Cliffhanger-Momente, in denen man ohne Instruktionen wieder sich selber überlassen wird. Wo man als unschuldige Strassenpassantin hinterher einfach nur dasitzt und sich denkt: war da grad was, und wenn ja, was war es? Möchte ich mehr davon? Dies könnte mich theoretisch zu der etwas allgemeineren Frage führen, warum ich mir überhaupt von einer Sache etwas verspreche, über die man grundsätzlich nur Negatives hört. Stattdessen denke ich: ich wollte etwas in Erfahrung bringen und habe nichts erfahren. Sagt das nun mehr über mich aus oder über die Sache?

Vielleicht sollte ich nach Amerika fliegen, denke ich dann noch. Vielleicht erlebt man da mehr. Vielleicht heisst es da gleich von Anfang an: Geld her oder das wird nix mit uns, verkauf uns deine Seele oder zisch ab. Ob es mir das je wert sein wird, meine Flugangst zu überwinden, weiss ich nicht. Mit dem Fragebogen verhält es sich zumindest vorläufig so wie mit lästigen Aufgaben: aufschieben, bis es nicht mehr umgänglich ist. Ob ich mich jedoch eines Tages dazu gedrängt werden fühle, den Test fertig auszufüllen, steht wohl in den Sternen. Während der Herr mit der Dianetik-Weste sich weiterhin täglich an seinem Stammplatz die Beine in den Bauch steht. Sein Lächeln scheint verrutscht, wenn wir uns sehen. Ich vermute, dass ich so schnell nicht wieder auf einen Becher Mineralwasser eingeladen werde.

1 Kommentar:

  1. Die Antworten: Leider nicht genug Geld dazu.
    Und: Am Elend der Welt.
    sind spitzenklasse!

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Dies ist der Blog von Laura Wohnlich. Sie schreibt, macht aber auch andere Dinge. Auf diesem Blog geht es um Kunst, Literatur, Poesie, Politik und ganz gerne auch mal einfach nur darum, die Seele baumeln zu lassen. Auf diesem Blog geht es darum, "den Helden in sich zum Vorschein zu bringen". Man kann noch lange darauf warten, dass Hero auf irgendwas angeritten kommt und einem das Leben zurechtrückt. Sei dein eigener Held und reiss dem Deppen der glaubt, er wisse es besser als du, die Zügel aus der Hand!