Dienstag, 12. Dezember 2017

Vorweihnachtliche Berlingedanken

In diesem Beitrag geht es um Impressionen, Berlin und um Weihnachten (weniger).


So. Nach einer längeren Post-Pause aufgrund von Lustlosigkeit meinerseits, die voraussichtlich nach diesem Post erneut in eine längere aktive Phase übergehen wird, habe ich beschlossen, heute mal wieder einen sogenannten Beitrag auf meiner persönlichen Spread-Plattform, diesem Blog, zu veröffentlichen. Bald ist Weihnachten, etwas Melancholie ist da, Zeit auch, also -

Ausnahmsweise möchte ich heute meine Gedanken aber nicht im Rahmen einer emotional so aufgeladenen Übersprungshandlung niederschreiben, dass die Bezeichnung professionell standartmässig direkt abgewunken werden kann, sondern in Form einer Art selbsterstelltem Feedbackbogen rund um das tolle Thema BERLIN darlegen - und wie man sich als Schweizer Refugee hier halt so fühlt, nach knapp 4 Monaten Aufenthalt.
Yo.


                                           Berlin, abends, aussen

Looos gehts.→

BERLIN REALITYCHECK 


Top 3 der Aha-Momente, in denen man sich denkt: Aha! This, also, is Berlin!

#Monat 1

- Man findet sich an einer dicht befahrenen Kreuzung wieder, hat das Gefühl, mindestens in New York zu stehen gerade (obwohl man da noch nie gewesen ist), und weiss nicht ansatzweise, wo man ist. Verlorenheitsgefühl unerhöhbar. 10 Minuten später sitzt man in einem Taxi und hört sich mit dem für diese Uhrzeit (irgendwas zwischen 2 und Morgendämmerung) überraschend gut gelaunten Fahrer Frenchrap an

- Man passiert in unverhohlener Tourismusbereitschaft den Görlitzerpark, und stellt dann am Kottbusser Tor fest, dass dieses Tütchen, das man sich in spontaner Gutmütigkeit von einem euphorischen Hauseingangslümmler hat aufdrehen lassen, wohl mitnichten etwas enthält, das man seiner Grosstante zum Sonntagskaffee anbieten würde

- Man fragt vor dem Einsteigen einen x-beliebigen Busfahrer höflich, ob er die Haltestelle XY frequentiert, und bekommt als Antwort ein  "Kannste nicht lesen, hat ja en Schild draussen" entgegengeschleudert, das in seinem Tonfall diese unnachahmbare Kombination aus Gereiztheit und Desinteresse vereint, die man ausserhalb von Berlin wohl kaum antrifft. (Andererseits jedoch wird man nach verschrecktem Hinhalten eines x-beliebigen Zettels in Fahrscheingrösse jeweils grosszügig ins Fahrzeug gewunken)

#Monat 2

- Der vorrangige Bekanntenkreis setzt sich zusammen aus halbgaren Tinderbekanntschaften, Cuccis, Ditsch- und Backfactory-Angestellten in der Frühschicht, sowie diesem einen überambitionierten Flötenspieler, der stets in der S7 Richtung Ahrensfelde auftaucht

- Man steht sonntags im Mauerpark, hat erfolgreich einen Kater weggesteckt, und denkt sich: joa, so. Und nun?

- Man verschanzt sich unter dem Vorwand, seine Kreativität ausleben beziehungsweise jene endlich mal sinnvoll anpacken zu wollen, einsam in der Wohnung / dem möblierten Untermietszimmer, das man grad am Start hat, ist dann aber den Rest des Tages hauptsächlich mit dem Versuch beschäftigt, verfügbare W-Lan-Netzwerke anzuzapfen, um eine Netflixserie zu streamen, oder blöde Posts zu veröffentlichen

                                                    LCB, nachts, innen


#Monat 3

- Man ertappt sich dabei, bei Edeka Tofugeschnetzeltes aufs Kassenband zu legen anstelle von handelsüblichem FLEISCH. Bei diesem Vorgang hinterfragt man sich kurz selbst, kommt dann aber relativ rasch zum Schluss, dass der aktuelle Situationsverlauf nicht weiter verwerflich ist (und bereitet den getätigten Einkauf zeitnah auch beherzt zu)

- Der einzige Motivationsgrund, diesen hochgradig unterbezahlten Teilzeitjob, den man aus diversen Gründen mal angenommen hat, nicht sofort an den Nagel zu hängen, ist der erhöhte Kalorienverbrauch (kellnern)

- BVG-interne Lyrics wie "Zurückbleiben bitte" oder "Ausstieg in Fahrtrichtung links" können synchron mitgerappt werden, ohne dass ihr Informationsgehalt für das persönliche Orientierungsvermögen noch von Belang ist


TOP 4 DER ANZEICHEN, AN DENEN MAN MERKT, DASS MAN ES DRAUFHAT IN BERLIN

- Man wird zu ausschweifenden Abendveranstaltungen der Schweizerischen Botschaft eingeladen und zu den jeweiligen 5-Gänge-Menüs konsequent vis à vis der Botschafterin platziert, ohne dass man deren Namen kennt (und darf dafür aber seinen Tinderbekanntschaften im Anschluss erklären, was ein Apéro ist)

- Man geht am Kurfürstendamm entlang und trägt zwei volle Einkaufstüten (an jeder Hand)

- Man kennt inzwischen 2-3 Restaurants, die wirklich gut sind

- Man spricht mittlerweile mehr oder weniger fliessend türkisch und/oder arabisch und kennt mindestens fünf Leute, die einem notfalls ein gefälschtes Visum oder einen Kampfhund organisieren könnten, wenns hart auf hart kommt (oder zumindest einen Türsteher, der einen irgendwo gratis reinlässt)


TOP 4 DER ANZEICHEN, DASS MAN VERSAGT HAT IN BERLIN

- Man beginnt, in öffentlichen Mülleimern nicht mehr ausschliesslich Müllentsorgungssysteme zu sehen, sondern potentielle Geldlieferanten

- Man verpasst sich eigenmächtig den querdenkerischen Berufstitel Streetworker und empfindet sich als jemanden, der andern Menschen hilft. Menschen, die man ungefragt auf der Strasse anspricht. Und das, wohlgemerkt, nachdem man selber seit 3 Wochen obdachlos ist und im immergleichen Traineranzug von Adidas/Fila/Kik/#nagelmichnichtfest rumläuft

- Man postet Bilder in sozialen Netzwerken, auf denen man freudestrahlend vor dem Fernsehturm Glühwein trinkt (oder diesen mit zwei Fingerspitzen festhält) ... oder man hat immer noch nicht begriffen, dass es an der Zeit ist, das Selfie zwischen den erstbesten Elementen des Holocaust-Mahnmals allmählich zu löschen

- Man findet sich besoffen, verschwitzt und einsam in irgendeiner Ecke wieder - und hat das Gefühl, dies sei der richtige Zeitpunkt, um aufzugeben


TOP 4 DER AUGENROLL-MOMENTE IN BERLIN

- Das Signalverhalten von Ampeln

- Das Pfandsystem von Petflaschen

- Leute, die nicht genau wissen, warum sie hier sind, sich aber weiterhin hartnäckig mit ihrem Jutebeutel an von Facebook vorgeschlagene Events begeben, um dort dann wahlweise über die prekäre Wohnungssuche-Situation in Berlin im Allgemeinen zu reden oder über den aktuellen Avocadomangel in den Wilmersdorfer Arcaden im Besonderen

- Der Weihnachtsmarkt alias Kirmes zwischen Alexanderplatz und Jannowitzbrücke (sorry, aber da werden wirklich keine coolen Gadgets abgeliefert, weder vorweihnachtliche Kuschelstimmung noch Adrenalin→ Stichwort Geisterbahn)


TOP 4 DER HIGHLIGHTS IN BERLIN 

- Pack schlägt sich, Pack verträgt sich - nirgendwo sonst in Westeuropa findet man derzeit wohl einen so skurrilen Individuenmix wie in Berlin, der es trotz aller gesellschaftlicher Hindernisse (Stichwort AFD, Stichwort Start-up, Jamaika, Stichwort Stichwort), hinkriegt, diese Stadt am Leben zu erhalten, und zwar auf eine Weise, die gleichzeitig anstrengend, liebenswert und inspirierend ist

- Das Pfandsystem von Petflaschen

- Bars. Es gibt in Berlin einfach Bars, in die man reingeht und sofort fühlt: ja, hier will ich bleiben, hier kann ich Mensch sein. Der Stuhl wackelt, das Klo ist kaputt, aber alles ist perfekt. Hier würde mich der Barkeeper, wenn es sein muss, nach dem 34. Shot auch persönlich raustragen und auf seiner Couchsurfcouch übernachten lassen (und ausserdem wird hier gerade dieser eine geile Song gespielt, von dem man bislang dachte, der einzige Mensch auf Erden zu sein, der ihn kennt und liebt).

- SPÄTIS


Und zu guter letzt noch die Weihnachtsfrage:

- Warum ist Weihnachtsstimmung in Berlin überflüssig? - Weil man sowieso kein Geld hat, um den Liebsten das tolle Etwas zu kaufen, das sie verdient hätten

- Warum ist Weihnachtsstimmung in Berlin wichtig? - Weil man beim Gedanken an die eigene Familie trotz all der neu erlangten Coolness ein kleines bisschen Wehmut und Sehnsucht verspürt - und die Vorfreude auf einen Käse, der mal wieder richtig gut ist, Stichwort Fondue










1 Kommentar:

  1. sehr schön. musste oft schmunzeln oder grinsen. war ja grade dort, hab mich mit Aziz, Tanja und Joris ausversehen an einem einzigen Drink besoffen trotz unmittelbarer Abreise. Du hast gefehlt. wir wollten in die Monkey Bar, aber keine Chance, aber die nächse Roof Top Bar war auf der Strasse angepriesen, allerdings sagte uns der Barman erst nach einiger Zeit, dass sie gschlossen sei - wir dachten sie sei einfach unbeliebt. aber einen Stock tiefer gabs schwere Rohholzmöbel und interessante Drinks, eben... bis dann!

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Dies ist der Blog von Laura Wohnlich. Sie schreibt, macht aber auch andere Dinge. Auf diesem Blog geht es um Kunst, Literatur, Poesie, Politik und ganz gerne auch mal einfach nur darum, die Seele baumeln zu lassen. Auf diesem Blog geht es darum, "den Helden in sich zum Vorschein zu bringen". Man kann noch lange darauf warten, dass Hero auf irgendwas angeritten kommt und einem das Leben zurechtrückt. Sei dein eigener Held und reiss dem Deppen der glaubt, er wisse es besser als du, die Zügel aus der Hand!