Samstag, 28. Mai 2016

Wanna be offline (sorry für erneuten Englischtitel)

In diesem Beitrag geht es um Kommunikation, Gedankenvielfalt und Möglichkeiten.



Ich war neulich nahezu 24h offline. Es war - und das ist jetzt echt echt nicht pathetisch gemeint - wohl die beste Zeit meines Lebens. Oder wenigstens waren es die besten vierundzwanzig Stunden der letzten vierundzwanzig Tage. Es ist zwar wirklich ein leidiges Thema, das ist mir bewusst: das Dauer-Erreichbarsein, die Online-Fixiertheit der Jugend, die berüchtigten Doppelhaken im Whatsapp-Verkehr. Aber nur weil jeder darob die Augen verdreht und glaubt, einen Standpunkt zu vertreten, wenn er einen Spruch über das Aussterben der Telefonzellen klopft, heisst das noch nicht, dass es kein brandaktuelles und wichtiges Thema ist! 

Denn ehrlich gesagt, scheint jedem zwar mittlerweile bewusst zu sein, dass das ganze Verfügbarsein irgendwie ungesund sein muss oder zumindest nicht ausreichend befriedigend, doch wirklich ein Gegenmittel hat leider niemand zur Hand. Beziehungsweise hat jeder es sozusagen in der eigenen: Smartphone ist da, Ausschaltknopf auch. Aber wer traut sich das heute noch (zu)? Die Angst, DEN Anruf zu verpassen, auf DIE Nachricht nicht subito antworten zu können, DAS Snapchatbild nicht im richtigen Augenblick zu Gesicht zu bekommen, ist viel zu gross.

Und ehrlich gesagt ist die Angst auch berechtigt. Als ich das letzte Mal offline gewesen bin - eben diese 24h - hatte ich nach dem 1.Blick auf meinen Bildschirm nach Ausschalten des Flugmodus tatsächlich das Gefühl, ein digitaler Kommunikationstsunami rolle über mich hinweg. Zwar liessen sich die gefühlten 2000 Nachrichten innerhalb weniger Minuten beantworten (okay, viele davon waren auch ignorierbar, Massenmails etc.), aber es geht bei der ganzen Problematik ja auch nicht um die tatsächliche Last der Dinge, sondern die, die man sich im Kopf macht. Die Welt geht nicht unter, nur weil man jemandem nicht zackig antwortet, genauso wenig wie sie das tut, wenn ein andrer die eigenen Messages geflissentlich ignoriert. Aber man selber geht unter, irgendwo im Offline-Alltag, wo man das alles als 2.0-Mensch noch nicht gelernt hat zu verwerten.


Ein gutes Gegenmittel gegen den Trubel ist Reisen. Physisches Verreisen, am besten in einem Fahrzeug ohne W-Land und am besten auch gleich ohne Netz. Leider steuert die Gesellschaft derzeit irgendwie darauf zu, sich immer überforderter zu fühlen mit der Möglichkeit, offline zu sein. Statt sich der vorbeiziehenden Landschaft zu erfreuen, wird auf einen trüben Bildschirm gestarrt, auch wenn in den meisten Fällen noch nicht einmal wirklich gross was los ist auf jenem. Lieber durch das altbekannte Fotosortiment scrollen als sich die andern Leute um einen rum anzugucken. Lieber Foodporn auf Instagram betrachten statt im Bordrestaurant 10 Franken für ein Gipfeli zu bezahlen. Ähm. 

Ja, die Möglichkeit wäre da. Man hat sie alle, die Möglichkeiten. Ausschalten, anschalten, abschalten. Aber vielleicht ist genau das ein grosser Teil des Problems: wir können uns nicht überwinden, uns selber vom Druck zu befreien. Deshalb sind Situationen, in denen man zum Offline gehen gezwungen wird, manchmal echt hilfreiche Zwischenfälle. 


Unlängst war ich im Wald. Selbst da gab es Empfang, aber nur sehr schlechten. Ich wartete minutenlang auf die Sendebestätigung und im Anschluss noch länger auf Antworten. Schliesslich war ich so genervt, dass ich das Telefon komplett ausschaltete. Und die Bäume betrachtete. Und zwei Enten, die sich offensichtlich sehr gerne mochten und beschlossen hatten, einen auf Mensch zu machen und auf einem Bänkchen die Gegend zu observieren. Alles war sehr schön. Das Licht, das durch das Blätterwerk brach und goldene Schleier auf den Teich projizierte. Die feuchte Erde. Das Zwitschern von fröhlichen Frühlingsvögeln. Warum mache ich sowas nicht öfter? Statt jetzt, wo es mal wieder arschgeiles Wetter ist draussen, im Wald zu sein und mich wieder an der Mannigfaltigkeit der Natur zu ergötzen, sitze ich hier im stickigsten Zimmer meiner Wohnung rum, die Rollos sind allen Ernstes unten, und ich schreibe hier auf meinem idiotischen Blog einen Eintrag, in dem ich mich darüber aufrege, dass zuviel online passiert und zu wenig im Busch ist. 

Na ja, whatever. Ich habe gestern ein Baumhaus in Auftrag gegeben. Die Firma, die das online anbietet, darf ich hier nicht verraten wegen Schleichwerbung und Name-Dropping und sowas, aber ich bin gespannt, und sobald das da ist, werde ich dort einziehen und dann nie wieder einen Eintrag verfassen müssen, der sich selber öfter widerspricht als Donald Trump!
Mein Handy nehme ich aber mit. Wegen Musik und dem Durchlesen alter Nachrichten und sowas. Das ist ja eh das schönste am smarten Phone: das Archivieren. 


Mir ist klar, dass es einige Menschen gibt, die über das, was ich jetzt geschrieben habe, wieder mal den Kopf schütteln und stolz auf ihr Steinzeit-Nokia zeigen und meinen, sie verstünden das Klagen nicht, sie jedenfalls seien nie online und hätten kein WhatsApp und der Facebookaccount sei ebenfalls inaktiv und Snapchat sei was für narzisstische Perverslinge. Ja, Respekt Leute, ihr könnt euch ins Elefantengehege stellen und zu einer aussterbenden Wesensart hinzuzählen. Man wird euch vermutlich weniger spenden als dem WWF, aber dafür sterbt ihr höchstwahrscheinlich stolzer und glücklicher als andere.






1 Kommentar:

  1. dear laura,
    so war es, als es noch telefonzellen alle 100 meter gab und liebeskummer pflasterte den weg,
    https://glumm.wordpress.com/2016/05/04/du-blutest-aber-gut/

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Dies ist der Blog von Laura Wohnlich. Sie schreibt, macht aber auch andere Dinge. Auf diesem Blog geht es um Kunst, Literatur, Poesie, Politik und ganz gerne auch mal einfach nur darum, die Seele baumeln zu lassen. Auf diesem Blog geht es darum, "den Helden in sich zum Vorschein zu bringen". Man kann noch lange darauf warten, dass Hero auf irgendwas angeritten kommt und einem das Leben zurechtrückt. Sei dein eigener Held und reiss dem Deppen der glaubt, er wisse es besser als du, die Zügel aus der Hand!