Samstag, 4. Juni 2016

Bedingungslos existenzberechtigt

In diesem Beitrag geht es um die morgige Volksabstimmung in der Schweiz, um Zeit und um Thom Hartmann.


Passt als Einstiegsbild nur bedingt, aber egal: nicht immer laufen die Wege parallel


Morgen ist es soweit. Der Tag ist gekommen, den so viele mit spöttischem Grinsen und ironischen Sprüchen erwartet haben. Andere blickten ihm mit zurückhaltendem Respekt entgegen, anderen war es scheissegal. Manche sehnen ihn mit missionarischer Begeisterung herbei, einige mit mutlosem Zweckoptimismus à la "Ich habe ja Ja gestimmt, aber angenommen wird die Initiative eh nicht."
Vermutlich stimmt das. Vermutlich sind 'wir' nicht bereit. Doch was soll das genau heissen? Welches 'Wir' ist nicht bereit? Die Akteure des Wirtschaftssystems? Die verkorksten Bünzlis aus dem Appenzell? So genau lässt sich das wohl nicht sagen. 

Fakt aber ist wohl, dass diejenigen, die GEGEN die Initiative argumentieren, mit Sicherheit NICHT bereit sind für deren Umsetzung. Und wenn diese Menschen in der Mehrzahl sind, wird die Initiative halt folglich einfach erwartungsgemäss abgelehnt, und dann wird das zum jetzigen Zeitpunkt wohl auch gut sein so. Dann wird es vermutlich weitergehen wie bislang und die sogenannten Veränderungen in diversen Systemen mit PR-tauglichem Optimierungsanspruch werden in kleinen, überschaubaren Rahmen stattfinden. Wahre Reform lässt dann wie gehabt auf sich warten oder, wahrscheinlicher, schafft sich demnächst selber ab. Das Interesse an wahrer Reform verliert sich immer mehr. In einer Zeit, wo wir eigentlich Erneuerer, Erfinder und Revolutionäre bräuchten, werden unsere sozialen Systeme immer intoleranter und härter in Bezug auf Unterschiede und Variationen. 
Im Hinblick auf diese Tatsache sehe ich tatsächlich wenig Sinn darin, den Leuten, die das nicht begreifen, Geld vor die Füsse zu werfen. Solange der Anspruch, das Bildungssystem zu ändern, noch nicht vorhanden ist, bringt diese gut gemeinte Einkommensreform meiner Meinung nach tatsächlich wenig - aber nicht nichts.

Der Notausgang: Weg versperrt. Aber in Sichtweite.

Das sehen selbst die meisten Befürworter so: die Zeit sei noch nicht reif. Allerdings frage ich mich dann doch auch wie angetönt bei genauerer Überlegung: why eigentlich not? Warum nicht mal bei C anfangen statt bei A? Okay, das Schulsystem hinkt meilenweit hinter den revolutionären Ansprüchen hinterher, die Politik natürlich auch, aber warum nicht mal einfach ein paar dieser dringenden Verbesserungsansätze überspringen? Üblicherweise beginnt man beim Züchten einer Pflanze damit, Samen in die Erde zu setzen. So stellt man sich das auch mit grossen verändernden Massnahmen im Sozialsystem vor. Aber könnte man die aktuelle Initiative nicht auch so sehen, dass man wenigstens hoffnungsvoll versucht, Erde zu giessen, auch wenn noch nichts aus den Samen an die Oberfläche gedrungen ist? Manchmal wachsen kleine Pflänzchen aus dem Boden, von denen man kaum versteht, woher sie kommen. Wer kennt das nicht: man pflanzt einen Zitronenbaum und plötzlich wächst da daneben fröhlich eine Blume vor sich hin, die man noch nie zuvor gesehen hat. 

Vielleicht kann das bedingungslose Grundeinkommen zum jetzigen Zeitpunkt kein Umdenken erzeugen, aber in ein paar Jahren. Die Umstände verändern um die Gedanken zu verändern, learning by doing quasi. Viele Kritiker argumentieren damit, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen per se einfach nicht finanzierbar sei. Und das stimmt auch in ihrem Weltbild, weil ihre Argumente sich auf Institutionen wie Rente, Krankenkassen etc. stützen. Solange unsere Gesellschaft weiterhin nach diesen fragwürdigen Systemen reguliert wird und keine höheren Ideale vorliegen, scheint es unumgänglich, dass finanzielle Lücken entstehen und die Geldverteilung nicht wirklich aufgeht. Und da ich persönlich wenig Hoffnung habe, dass diese eingefleischten Pseudo-Rationalisten jemals ihre Vorstellungen aufgeben werden, hege ich auch wenig Hoffnung in Bezug auf die Durchsetzung der BG-Initiative. 

"Der Zucker kommt nicht einfach so geflogen, ich gehe jetzt arbeiten, Henri."

Kulturen - da stimme ich Hartmann voll und ganz zu - denen es an der Fähigkeit und am Willen mangelt, grosse Veränderungen vorzunehmen, werden Ärger bekommen. Innerer Zerfall steht bevor, aber den Akteuren der Anti-Reform ist das egal, weil ihnen anscheinend nur der Zeitraum wichtig ist, in dem sie als Menschen auf dem Planeten Erde zugegen sind. Die Bequemlichkeit vermag in diesen Fällen ein Menschenleben auszufüllen. 

Spiritualität zählt heute nicht mehr in unserer Gesellschaft, was ich als immenses Problem sehe. Niemand sollte dazu angehalten werden, sich spirituell zu verhalten, wenn er sich nicht dazu berufen fühlt - aber das kontinuierliche Ausmerzen durch Belächeln und Ignorieren der wichtigen Gabe der Intuition spiritueller Menschen zeigt im Grunde einfach nur auf, wie wenig unsere Zeit für Individualismus übrig hat. Und dass Individualismus wichtig für das Überleben einer Gesellschaft ist, das hat sich in der Geschichte mehr als genug gezeigt. Ob Benjamin Franklin oder Thomas Edison - sie alle waren sogenannte Querdenker, die Fortschritte bewirkt haben, die mit der monotonen Ideenverwaltung anderer Stromschwimmer nicht stattgefunden hätte. 

Wenn eine so grossartige Initiative wie die des bedingungslosen Grundeinkommens nicht durchkommt, dann ist das für mich lediglich ein weiterer Beweis dafür, dass es sich lohnt, nicht immer mich selber zu hinterfragen, sondern die andern. Insofern wäre ich vielleicht sogar ein bisschen dankbar, wenn die Mehrheit Nein stimmte. 

Des einen Freud, des andern Leid: alle Menschen sind Helden, der eine im Zelt, der andre in der Villa, der andre auf der Welt.






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Dies ist der Blog von Laura Wohnlich. Sie schreibt, macht aber auch andere Dinge. Auf diesem Blog geht es um Kunst, Literatur, Poesie, Politik und ganz gerne auch mal einfach nur darum, die Seele baumeln zu lassen. Auf diesem Blog geht es darum, "den Helden in sich zum Vorschein zu bringen". Man kann noch lange darauf warten, dass Hero auf irgendwas angeritten kommt und einem das Leben zurechtrückt. Sei dein eigener Held und reiss dem Deppen der glaubt, er wisse es besser als du, die Zügel aus der Hand!